Rosi Dreibrodt

„Das war gelebter Sozialismus“

29.09.2023 | Vor 50 Jahren wurde Rosemarie „Rosi“ Dreibrodt Mitglied der IG Metall. Die überzeugte Gewerkschafterin kann auf ein bewegtes (Arbeits)leben zurückblicken. Betriebsratsvorsitzende, Mitglied des IG Metall-Ortsvorstandes, ehrenamtliche Arbeitsrichterin, Versichertenälteste: Diese gewerkschaftliche Laufbahn war ihr nicht in die Wiege gelegt und ist nur ihrer Beharrlichkeit und ihrem klaren moralischen Kompass zu verdanken.

Rosi Dreibrodt (Archivbild), Foto: Peter Frank, d&d

"Die Revolverdreherin Rosi Dreibrodt" (Foto: privat)

Nach ihrem Volksschulabschluss 1952 hatte Rosi zunächst verschiedene Stellen als Haushaltshilfe – am längsten bei einer Familie in Schöppenstedt, die eine Mietwäscherei betrieb. 1957 wird Rosi angeboten, die Wäscherei zu übernehmen. Das Problem: Rosi ist erst 20 und damit noch nicht volljährig. Sie heiratet, um geschäftsfähig zu werden und übernimmt den Betrieb. Als 1959 ihr Sohn zur Welt kommt, wird die Arbeitsbelastung zu hoch und Rosi muss die Wäscherei aufgeben. Weitere Beschäftigungen folgen: Rosi arbeitet für eine Gummifabrik, in der örtlichen Heißmangel und in der Schöppenstedter Zuckerfabrik.

Dann, 1973, beginnt ein gänzlich neues Kapitel in Rosis Geschichte. Die Firma MAREM (Maschinenfabrik Remlingen) sucht Arbeiterinnen und Arbeiter. Rosi bewirbt sich und wird als Revolverdreherin eingestellt. „Ich wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht, was eine Drehbank ist“, gibt Rosi schmunzelnd zu. „Alles, was für mich zählte, war mit meinem Sohn über die Runden zu kommen.“

Seit 1971 war die MAREM eine verlängerte Werkbank der Rieter AG in Winterthur und produzierte Teile für Textilmaschinen. Das Schweizer Mutterunternehmen profitierte dabei von der hohen Zonenrandförderung.

In den folgenden fast zwei Jahrzehnten setzt Rosi sich in der Männerwelt einer Maschinenfabrik durch, wird 1976 in den Betriebsrat gewählt und 1992 dessen Vorsitzende – ein Amt, das sie bis zu ihrem Renteneintritt 2002 behalten soll. Seit 1980 sitzt Rosi außerdem in der Delegiertenversammlung der IG Metall Braunschweig und wird 1992 Mitglied des IG Metall-Ortsvorstandes.

Mit der Wiedervereinigung fällt auch die Zonenrandförderung und die Schweizer Mutter gibt den Standort Remlingen auf. MAREM – zu diesem Zeitpunkt schuldenfrei und mit vier Millionen D-Mark Bankguthaben – wird 1993 für eine symbolische Mark an die EST Industrieverwertungen GmbH verkauft, eine Ein-Mann-Gesellschaft von Eckehard Stumpf. 

Anfangs sieht es so aus, als begänne damit eine Erfolgsgeschichte. Doch schon bald wendet sich das Blatt: Missmanagement, Mitarbeitertäuschung, spät oder gar nicht gezahlte Löhne und Gehälter. Im September 1996 wird das Insolvenzverfahren eröffnet und die Beschäftigten stehen von heute auf morgen vor der Wahl arbeitslos zu werden oder ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. 

„Der Betriebsrat musste handlungsfähig bleiben, deshalb gründeten wir den gemeinnützigen Verein ‚Remost‘ (Remlingen ohne Stumpf) und gemeinsam mit der IG Metall Braunschweig haben wir ein Gesellschaftermodell für eine neue Firma erarbeitet“, erläutert Rosi. „130 Arbeitsplätze konnten so gerettet werden. Jeder Mitarbeiter wurde Gesellschafter mit einer Einlage von mindestens 5.000 D-Mark. Es wurde vom ersten Tag an echte Mitbestimmung praktiziert, alles Erarbeitete wurde gleichmäßig verteilt. Das war real gelebter Sozialismus. Wir waren wieder ein Zulieferer-Zerspanungsbetrieb und fertigten Teile u.a. für Spinnereimaschinen, für die Autoindustrie, für Landmaschinen sowie für die Klima-, Pump- und Tiefbohrtechnik.

Die Arbeit des Betriebsrates veränderte sich erheblich. „Plötzlich mussten wir unternehmerisch handeln. Einerseits war es als Betriebsrat immer noch unser Job, darauf zu achten, dass die Kolleginnen und Kollegen vernünftige Arbeitsbedingungen hatten und andererseits mussten wir Arbeitsabläufe optimieren, rationalisieren. Wir wussten, dass das nicht immer gut ankam“, berichtet Rosi. Die Solidarität unter den Kollegen bröckelt, einige fordern ihre Einlagen zurück. Rosi zeigt sich noch heute enttäuscht, ist aber weiterhin überzeugt, dass der Ansatz grundsätzlich richtig war. 

2003 muss das Unternehmen schließlich erneut Insolvenz anmelden. Rosi war 2002 in Rente gegangen und engagierte sich weiter ehrenamtlich im Kreativ-Club der IG Metall Braunschweig und ist bis heute Versichertenälteste.

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