07.03.2011 | Seit 100 Jahren nutzen Frauen den „internationalen Frauentag“, um auf mangelnde Gleichberechtigung hinzuweisen und diese einzufordern. Viel hat sich in dieser Zeit getan, aber alle Ziele sind noch lange nicht erreicht. Im Gespräch schildern Martina Witkowski (Betriebsrätin VW BS), Silvia Stelzner (Betriebsrätin VWFSAG) und Eva Stassek (zweite Bevollmächtigte der IG Metall Braunschweig) die aktuelle Situation.
Eva Stassek: "Wir können mit den bisherigen Ergebnissen nicht zufrieden sein. Frauen sind heutzutage hervorragend ausgebildet und erzielen durchschnittlich bessere Bildungsabschlüsse als Männer. Doch in der Arbeits- und Berufswelt müssen wir beobachten, dass zwar viele Frauen hoch motiviert starten, dass ihr Anteil jedoch sinkt, je weiter es die Karriereleiter hinauf geht."
Martina Witkowski: "Genau, bei Volkswagen liegt der Frauenanteil bei den gewerblich-technischen Auszubildenden bei 21 Prozent, der Frauenanteil im gesamten Unternehmen bei 14,1 Prozent. Von den FacharbeiterInnen sind jedoch nur noch 5 Prozent weiblich. Wir müssen genau analysieren, wie es zu diesem 'Verlust' kommt und was wir dagegen tun können.
Es ist gut, dass sich Volkswagen in der 'Strategie 2018' zur Frauenförderung bekannt hat. Solche Zielsetzungen helfen, aber sie reichen ohne zusätzliche konkrete Maßnahmen nicht aus. Die Unternehmen müssen sich entscheiden, ob sie es bei Lippenbekenntnissen zur Frauenförderung belassen wollen, oder ob sie es ernst meinen und konkrete Schritte gehen."
Silvia Stelzner: "Mit einem Frauenanteil von 53% ist die FSAG ein großer Arbeitgeber für Frauen in Braunschweig. Die Unternehmensleitung hat auch erkannt, dass wir viele qualifizierte Frauen als Beschäftigte brauchen. Es müssen noch mehr Anstrengungen unternommen werden, den Anteil von Frauen in höheren Positionen zu steigern. Denn: Die Unternehmen können gar nicht auf das Potenzial der Frauen verzichten."
Eva Stassek: "Überall gibt es einzelne Beispiele von Frauen in Führungsposition, bis auf die allerhöchsten Ebenen. Dennoch ist ihr Anteil insgesamt zu gering. Das ist ein Problem, das gesamtgesellschaftlich gelöst werden muss. Wenn es um Karriere geht, werden weibliche Beschäftigte zum Teil gar nicht in Betracht gezogen, zum Teil werden sie in Bewerbungsgesprächen gefragt, wie sie denn angesichts der beruflichen Belastung die Kinderbetreuungen organisieren. Männer müssen sich solchen Fragen hingegen gar nicht erst stellen, geschweige denn eine solche Doppel-Belastungen bewältigen und haben deshalb die Chance, beruflich schneller aufzusteigen. Sie sind für die Unternehmen verfügbarer und flexibler einsetzbar als die meisten Frauen."
Silvia Stelzner: "Die FSAG bietet seit 2008 Kinderbetreuung an. Das Angebot war fast sofort ausgeschöpft. Klar ist jedoch, dass nicht alle kleineren Betriebe ebenfalls die Kinderbetreuung selbst organisieren können. Wir brauchen eine öffentliche Infrastruktur seitens der Kommunen und der Länder, die genügend Krippen- und Hortplätze bietet sowie Ganztagesbetreuung an Schulen."
Martina Witkowski: "Es gibt immer noch tief verankerte Vorstellungen von Männer- und Frauenberufen, das fällt in der Automobilbranche und der Metall- und Elektroindustrie stark ins Gewicht. Der 'Girls Day' wurde von der niedersächsischen Landesregierung in den 'Zukunftstag' für Schülerinnen und Schüler umgewandelt. Das ist aus unserer Sicht jedoch nicht Sinn der Sache. Deshalb gibt es bei Volkswagen weiterhin den 'Girls Day', der Schülerinnen Einblick in die Arbeitswelt bietet und Hemmschwellen gegenüber Berufen abbauen soll, die männlich dominiert sind.
Im internationalen Vergleich steht Deutschland nicht besonders gut da in Sachen Gleichberechtigung. Es gibt viele Faktoren, die immer noch die klassische Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen zementieren, das fängt beim gleichen Entgelt für gleichwertige Arbeit an, geht über das steuerliche Ehegatten-Splitting und hört bei der Elternteilzeit noch lange nicht auf. Daran muss sich was ändern!"