06.01.2025 | Zahlen, die alarmieren: Im Handwerk fehlen derzeit bereits 113.000 Fachkräfte, wie Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) belegen. Zusätzlich werden laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) bis 2030 etwa 125.000 Handwerksbetriebe eine neue Unternehmensnachfolge suchen.
Bis 2045 wird diese Zahl sogar auf rund 450.000 Betriebe ansteigen. Den Zahlen zufolge müsste fast jede zweite Stelle in der Betriebsführung neu besetzt werden.
Für Markus Wente, Verhandlungsführer der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt in vielen Gewerken, ist dies keine Überraschung: „Bereits seit vielen Jahren ist im Handwerk der Trend zu einer Konzentration von Großkonzernen mit mehreren hundert bis tausenden Beschäftigten erkennbar. Viele kleine Betriebe, die das Rückgrat des Handwerks bilden, werden aufgrund fehlender Nachfolge von großen Konzernen geschluckt und aufgekauft. Dies führt zu einer Marktkonzentration, weniger Wettbewerb und damit auch zu höheren Preisen für die Endverbraucher. Außerdem sind diese Konzerne häufig nicht tarifgebunden, was in der Folge zu schlechteren Arbeitsbedingungen führt. Schon heute ist klar: Zahlreiche Familienbetriebe, die es seit Jahrzehnten gibt, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren nicht mehr geben. Nicht zwingend wegen wirtschaftlicher Perspektiven – viele Betriebe können sich vor Aufträgen kaum retten.“
Bereits 2024 hat die IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ein Positionspapier veröffentlicht, das das Handwerk zwischen Fachkräftemangel und Transformation beschreibt. Das Handwerk ist essenziell für die Klimawende und den Wandel unserer Wirtschaft. Ohne qualifizierte Fachkräfte können die ambitionierten Ziele einer kohlenstoffarmen Zukunft nicht erreicht werden. Ob es um die Installation von Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen, Smart-Home-Technologien, den Ausbau von Leitungs- und Ladenetzen oder energetische Sanierungen geht – Fachkräfte sind der Schlüssel zum Erfolg.
In diesem Zusammenhang sieht der Gewerkschafter viel Wahrheit im Sprichwort „Handwerk hat goldenen Boden“: „Wer einen sicheren Job mit Zukunft sucht, wird ihn im Handwerk finden. Die Arbeit wird dem Handwerk nicht ausgehen – und das über Jahrzehnte hinweg. Bei der Tarifbindung hat das Handwerk allerdings in vielen Gewerken noch Luft nach oben. Sowohl bei den Entgelten als auch den Arbeitszeiten gibt es weiter Aufholbedarf, und manch eine Branche steht gänzlich ohne Tarifbindung da, insbesondere in Sachsen-Anhalt“, so Metaller Wente weiter.
Die Tarifbindung im Handwerk zu stärken, ist ein erklärtes Ziel der IG Metall. Es ist wichtig, überall attraktive Entgelte und auch flexible Arbeitszeiten anzubieten, die eine gute Work-Life-Balance ermöglichen. „In einer repräsentativen Umfrage der IG Metall im Metallhandwerk gaben 71 Prozent der Teilnehmer aktuell an, dass ihnen das Thema Arbeitszeit wichtig oder sogar sehr wichtig ist – in der kommenden Tarifrunde 2025. Und auch in der anstehenden Tarifrunde im Kfz-Handwerk diskutieren die Tarifkommissionen aktuell mehr denn je flexible Möglichkeiten der Entlastung in der Arbeitszeit, denn der Fachkräftemangel führt immer mehr zu massiver Verdichtung in den Werkstätten. Zudem gilt es auch, weibliche Karrierepotenziale im Handwerk zu heben. Auch hier helfen flexible Arbeitsmodelle“, so Wente.
Für viele junge Menschen steht am Ende des verengten schulischen Tunnels nur der akademische Weg. Dies liegt auch an der fehlenden Berufsorientierung, weswegen die IG Metall ein entsprechendes Ankerfach in den allgemeinbildenden Schulen fordert: „Das Handwerk kämpft seit langer Zeit zu Unrecht mit seinem Image. Wir brauchen im Land nicht nur Master, sondern eben auch Meister. Wir müssen jungen Menschen mehr Wege ins Handwerk, seine Vielfalt und insbesondere die Karrierepfade dort aufzeigen. Natürlich ist ein Job als Tischlerin, Sanitärmonteur, unter der Hebebühne in einer Kfz-Werkstatt oder am Schweißgerät im Metallhandwerk vielfach anstrengender als im Büro. Aber: Einerseits braucht es für die Substanz unseres Landes diese Kolleginnen und Kollegen, andererseits sind es Berufe, in denen Werte geschaffen werden und in denen viele Erfüllung finden können! Ich erwarte auch vom Land entsprechende Aktivitäten in Form von Anpassung der Lehrpläne in den Schulen und damit eine weitreichende Imagekampagne an den Orten, wo man junge Menschen erreicht“, führt Wente aus.
Die Förderung der Potenziale junger Menschen durch Einstiegsqualifizierung ist ebenfalls wichtig. 2023 haben in Niedersachsen knapp 6.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen. Das sind 800 mehr als im Vorjahr. Ein Land im Fachkräftemangel kann sich diesen Umstand nicht leisten, und das Handwerk muss diese Potenziale gewinnen und qualifizieren. Tarifverträge zur Einstiegsqualifizierung unterstützen dabei bereits heute in vielen Gewerken.
Schließlich müssen negative Vorurteile gegenüber einer Ausbildung und Karriere im Handwerk abgebaut werden. Dies kann durch gute tarifliche Beispiele und eine verstärkte Berufsorientierung in den Schulen erreicht werden. Das Modell der Ausbildungsbotschafter sollte auf alle Handwerkskammerbezirke ausgeweitet werden, um diese Ziele zu unterstützen. Dabei ist es aus Sicht der IG Metall wichtig, dass die Botschafter aus tarifgebundenen Betrieben stammen, um diesen Betrieben bei der Nachwuchssuche einen echten und direkten Mehrwert für eine Tarifbindung zu verschaffen.
Weiterhin bietet die Aktivierung digitaler Potenziale im Handwerk 4.0 enorme Chancen zur Steigerung der Produktivität und zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Eine frühzeitige Einbindung und Qualifizierung der Beschäftigten ist dabei entscheidend. Diese müssen auf dem Weg in eine digitale und vernetzte Zukunft von Anfang an mitgenommen und eingebunden werden. Betriebsräte bieten in der Praxis hierfür eine gute und mitbestimmte Grundlage, sodass die Anforderungen der Beschäftigten entsprechend berücksichtigt werden.
Zuwanderung und die Integration Geflüchteter sollten als Chance für das Handwerk verstanden werden. Durch passgenaue fachliche und sprachliche Aufbauqualifizierung sowie eine schnelle Eingliederung in den Arbeitsmarkt kann das Handwerk als Integrationsmotor Nummer eins fungieren und darf diese Fachkräftepotenziale nicht der Industrie überlassen. „Hier muss die Politik für eine schnelle und vor allem unbürokratische Anerkennung von Berufsabschlüssen aus Drittstaaten sorgen. Und was wir in der Praxis immer wieder erleben: gut ausgebildete und gesellschaftlich integrierte Handwerker, die als Geflüchtete zu uns gekommen sind und häufig das Rückgrat eines Handwerksbetriebes bilden, dürfen nicht grundlos abgeschoben werden! Dies reißt nicht nur ein Loch in das Leben des Betroffenen, sondern auch in den Fachkräftebestand des Handwerksbetriebes!“, so Wente abschließend.
(Pressemitteilung des IG Metall Bezirks Niedersachsen und Sachsen-Anhalt)