IG Metall warnt vor schleichendem Industriekollaps

Gewerkschaft warnt vor schleichendem Industriekollaps

30.10.2025 | Die IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt warnt vor einem ungebremsten Niedergang der industriellen Basis in Deutschland. Monat für Monat verschwinden tausende Industriearbeitsplätze. Die Produktion stagniert, Investitionen werden verschoben, Zukunftsfelder bleiben unerschlossen.

„Das ist kein Konjunkturtief, was wir erleben, ist eine Welle der De-Industrialisierung“, sagte Thorsten Gröger, Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, bei einer Industriedemonstration der lokalen IG Metall in Lüneburg. „Wenn wir weiter so zusehen, verliert dieses Land nicht nur Arbeitsplätze, sondern das Vertrauen der arbeitenden Mitte.“

Die Region zwischen Nordheide und Wendland steht exemplarisch für eine Entwicklung, die bundesweit um sich greift: Werke drosseln die Produktion, Belegschaften bangen um ihre Zukunft, neue Investitionen bleiben aus. „Was in Lüneburg passiert, ist kein Einzelfall, sondern ein bundesweites Symptom“, so Gröger. „Unsere Industrie steht an der Kippe – und die Bundesregierung agiert zögerlich. Der Druck auf den Belegschaften ist Begleitsymptom einer Politik ohne industriepolitischen Kurs und von Chefetagen ohne Verantwortungsbewusstsein.“

Für die lokale Industriegewerkschaft fügt Lennard Aldag, Bevollmächtigter der IG Metall Celle-Lüneburg, an: „Unsere Region steht sinnbildlich für das, was in ganz Deutschland passiert: Die Industrie zieht sich zurück, während die Politik zuschaut. Wir erteilen Jobabbau und Kahlschlag beim Sozialstaat eine klare Absage! Unternehmertum heißt Verantwortung – auch gegenüber den eigenen Belegschaften. Was wir bei Jungheinrich oder Musashi erleben, ist unanständig – es zeigt, wie schnell Verantwortung vergessen wird, wenn Rendite wichtiger ist als Menschen!“, erklärt Lennard Aldag, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Celle-Lüneburg: „Und auch die Politik muss endlich aus den Arbeitskreisen und Kommissionen herauskommen und in die Werkhallen hinein! Wir brauchen endlich industriepolitische Entscheidungen, nicht Absichtserklärungen. Wir lassen uns nicht länger auf den Sankt-Nimmerleinstag vertrösten! Als IG Metall werden wir nicht zuschauen, wie Industrie, gute Arbeit und sozialer Zusammenhalt verspielt werden, sondern kämpfen und Flagge zeigen.“

Die IG Metall verweist auf ihre aktuelle Betriebsrätebefragung, die die Probleme deutlich macht: Fast jeder zweite Betrieb in Deutschland bewertet seine wirtschaftliche Lage als schlecht oder sehr schlecht. Besonders betroffen sind Maschinenbau, Fahrzeugbau und Stahlindustrie. 43 Prozent der Betriebe sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit durch hohe Energiepreise stark gefährdet, in der Stahlbranche sogar 82 Prozent. „Das sind fette Ausrufezeichen, keine Randnotizen“, so Gröger. „Wir verlieren industrielle Substanz, weil die Rahmenbedingungen in Deutschland nicht mehr stimmen. Insbesondere Energiepreise sind ein Vielfaches höher als im europäischen Ausland. Da braucht es keine politische Homöopathie, sondern einen echten Wurf in Form eines Industriestrompreises von 5 Cent pro Kilowattstunde. Spätestens zum Jahreswechsel.“

Gröger kritisiert die Bundesregierung scharf: „Nach dem Herbst der Ankündigungen droht ein frostiger Winter der Enttäuschungen. Maschinen stünden still, Kolleginnen und Kollegen würden den Job verlieren, während die Politik über Karenztage, längere Arbeitszeiten und das Bürgergeld redet. Das ist kein Zukunftskurs, das ist keine Industriepolitik, das ist Realitätsverweigerung. Wir brauchen keine Papiere, sondern Entscheidungen: bezahlbare Energie, klare Investitionspfade, eine Politik, die Arbeit sichert.“

Hinzu kommt, dass viele Unternehmen selbst zu wenig Verantwortung übernehmen: Laut IG Metall-Befragung verfügen weniger als 45 Prozent der Betriebe unter Transformationsdruck über eine echte Zukunftsstrategie. Nur 38 Prozent binden ihre Betriebsräte in Fragen der Innovation und Produktion aktiv ein. „Das ist erschütternd“, sagt Gröger. „Wir haben Unternehmen, die auf politischen Rückenwind warten, während sie selbst auf der Bremse stehen. Wer jetzt noch keine Strategie hat, der hat bald keine Zukunft. Das ist gegenüber den Beschäftigten einfach nur fahrlässig. Auf den Geschäftsmodellen der Vergangenheit darf sich nicht ausgeruht werden. Unternehmertum heißt nicht nur Rendite, sondern auch Verantwortung für seine Belegschaften!“

Für die IG Metall steht fest: Der industrielle Rückzug bedroht nicht nur Arbeitsplätze, sondern den sozialen Zusammenhalt. „Industriepolitik ist Demokratiepolitik“, so Gröger. „Wo Arbeit verschwindet, verschwindet Halt. Wenn Menschen erleben, dass ihre Leistung nichts mehr zählt, wenden sie sich ab – und andere Kräfte füllen das Vakuum.“

Die IG Metall fordert von der Bundesregierung ein entschlossenes industriepolitisches Sofortprogramm:

  1. Industriestrompreis jetzt: Maximal 5 Cent pro Kilowattstunde für energieintensive Betriebe – gekoppelt an Standort- und Beschäftigungsgarantien. Stromsteuer auf europäisches Mindestmaß senken.
  2. Zukunftspakt „Made in Germany“: Gezielte Investitionen in Grundstoffe, Maschinenbau, Batterien, Wasserstoff, Halbleiter und Kreislaufwirtschaft – statt Flickenteppich-Förderung.
  3. Fördermittel nur mit Gegenleistung: Keine Steuergelder für Konzerne ohne Tarifbindung, Standorttreue und Beschäftigungssicherung.
  4. Sozialstaat stärken statt kürzen: Keine Rentenkürzungen, keine Rente mit 70 – dafür gerechte Beteiligung hoher Einkommen und Vermögen an der Finanzierung des Wandels.


Gröger kündigte an, dass die IG Metall im Winter mit Aktionen, Gesprächen und Protesten Druck machen wird. „Wir werden nicht zuschauen, wie die Regierung redet und die Wirtschaft zögert. Wenn nichts passiert, gehen wir auf die Straße – laut, solidarisch, entschlossen.“

Er schloss mit einem Appell: „Deutschland war stark, weil Industrie, Arbeit und sozialer Zusammenhalt zusammengehörten. Wenn dieses Band reißt, reißt mehr als eine Lieferkette – dann reißt Vertrauen. Wenn der Herbst der Ankündigungen keine leere Hülse bleiben soll, muss jetzt gehandelt werden. Aber Reform geht nicht zulasten der Beschäftigten oder auf ihrem Rücken.“

(Pressemitteilung des IG Metall Bezirks Niedersachsen und Sachsen-Anhalt)

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