28.10.2024 | Wolfsburg – Deutschlands größter Industriekonzern Volkswagen schockt seine Belegschaften in den heimischen VW-Werken mit Kahlschlag-Vorhaben in historischen Dimensionen: Verbunden mit Arbeitsplatzverlusten für zehntausende Beschäftigte will der Vorstand mindestens drei VW-Fabriken schließen, zusätzlich praktisch alle dann noch bestehenden Werke verkleinern, zudem bisherige Kernbereiche abstoßen und obendrein für die verbleibenden Beschäftigten erhebliche Entgeltverluste durchsetzen.
Diese Pläne hat die Unternehmensspitze als ihre Wahl für einen Ausweg aus der Krise dem Gesamtbetriebsrat kürzlich präsentiert – unabhängig von der VW-Haustarifrunde. Der Belegschaft gegenüber schweigt der Vorstand weiter. Daher informierten nun am Montag die lokalen Arbeitnehmervertretungen ihre Belegschaften in parallel laufenden Versammlungen an allen zehn deutschen VW-Standorten (Braunschweig, Chemnitz, Dresden, Emden, Hannover, Kassel, Osnabrück, Wolfsburg, Salzgitter und Zwickau). Dazu kamen laut ersten Angaben insgesamt zehntausende Kolleginnen und Kollegen.
Im Stammwerk Wolfsburg sprach die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo. Sie sagte: „Der Vorstand will in Deutschland mindestens drei VW-Werke dichtmachen. Er behauptet: Ohne einen solchen Einschnitt geht es nicht. Der Vorstand hat außerdem vor, alle dann noch verbleibenden Werke hierzulande zu schrumpfen. Das heißt konkret, dort weit über das, was wir bisher schon gemacht haben, noch weitere Produkte, Stückzahlen, Schichten und ganze Montagelinien herauszunehmen.“ Cavallo weiter: „Alle deutschen VW-Werke sind von diesen Plänen betroffen. Keines ist sicher!“
Sie betonte: „Dem Vorstand geht es um noch mehr: Er will sich zusätzlich von ganzen Abteilungen und Bereichen trennen. Und die dortige Arbeit ins Ausland verlagern oder sie gleich ganz extern vergeben.“ Die Outsourcing-Pläne reichen von angelernten bis zu akademischen Tätigkeiten. „Niemand von uns kann sich hier noch sicher fühlen!“ Die Betriebsratsvorsitzende warnte, das alles als „Säbelrasseln in der Tarifrunde“ abzutun: „Das ist der Plan des größten deutschen Industriekonzerns, in seiner Heimat Deutschland den Ausverkauf zu starten. (…) Mit diesen Vorhaben des Vorstandes stehen bei Volkswagen in Deutschland zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.“
Werkerinnen und Werker müssten etwa 18 Prozent Entgelteinbußen hinnehmen
Die verbleibenden Beschäftigten müssten nach dem Willen der Unternehmensspitze heftige Entgeltverluste hinnehmen. „Der Vorstand will allen Beschäftigten, egal ob Tarif, Tarif-Plus oder Management, 10 Prozent vom Monatsentgelt wegnehmen. Dauerhaft. (…) Aber damit nicht genug: Nach den 10 Prozent Minus sollen wir zwei Nullrunden fahren. Also 2025 und 2026 keine Erhöhungen“, sagte die Betriebsratsvorsitzende.
Zudem will der Vorstand auch die aktuell 167 Euro hohe monatliche Tarifliche Zulage abschaffen. Damit ergäbe sich für ein in der Fertigung übliches Monatsbrutto (Stufe 7) diese Rechnung: 3914 € Monatsentgelt plus 167 € Tarifliche Zulage = 4081 €, womit die 167 € rund 4 Prozent der Monatsvergütung entsprechen. Das plus 10 Prozent Kürzung plus zwei Jahre Nullrunden bei 2 Prozent Zielinflationsrate (EZB- Wert) = rund 18 Prozent Einbuße. Je nach Gewicht der 167 Euro schwankt dieser Wert pro Entgeltstufe leicht.
Auch will der Vorstand im Tarif-Plus – also jenem übertariflichen Bereich unterhalb des Managements, der in Tarifverhandlungen mit der IG Metall gestaltet wird – den an das Management gekoppelten Bonus streichen. Zudem sollen bisher im VW-Manteltarif garantierte Jubiläums-Einmalzahlungen für 25 und 35 Jahre Zugehörigkeit entfallen. Es geht hier um das rund Anderthalbfache oder Dreifache eines Monatsentgelts.
Cavallo bekräftigt Kritik: Noch immer fehlt jeder Hauch eines Zukunfts-Plans
Die Betriebsratsvorsitzende bekräftigte in ihrer Rede vor Tausenden an der Südstraße des Stammwerkes ihre Kritik an der Konzept- und Strategielosigkeit, mit der die Spitze des größten europäischen Automobilherstellers seit Monaten keinerlei Idee neben den Kahlschlag-Vorhaben erkennen lässt: „Der Vorstand versetzt Euch, Kolleginnen und Kollegen, in Panik und taucht dann ab. Der Vorstand bleibt uns seit über einem Jahr die Zielbilder für die VW-Kernmarke schuldig. Der Vorstand hält sich nicht an Absprachen, selbst an die aus der Planungsrunde nicht, deren Wert hier im Konzern nicht höher hängen kann. Und vor allem lässt der Vorstand auch zwei Monate, nachdem wir das vehement eingefordert haben, noch immer nicht den Hauch eines Zukunfts-Plans erkennen. Denn noch immer ist die Frage aller Fragen unbeantwortet: Wofür in aller Welt sollen derartige Einschnitte her, wenn auf der Gegenseite keinerlei Gewissheit erkennbar ist? Wenn nach wie vor kein Angriffsplan auf dem Tisch liegt, kein Konzept für die künftige Produktpalette und keinerlei Idee, wie wir die Technologieführerschaft zurückgewinnen!“ Und so bilanzierte die Betriebsratsvorsitzende abschließend: „Der Vorstand steht gegen uns. (…) Und er spielt somit massiv mit dem Risiko, dass hier bald alles eskaliert. Und damit meine ich, dass wir die Gespräche abbrechen und machen, was eine Belegschaft machen muss, wenn sie um ihre Existenz fürchtet.“
Cavallo verwies auf die nahe zweite Haustarifrunde. „Der Vorstand kann dieses Umfeld am Mittwoch nutzen, sich endlich zu all dem hier zu erklären. Gerne kann er das natürlich auch heute schon machen. Oder morgen. Hauptsache, er tut es endlich.“
Cavallo: Gesamtbetriebsrat verkennt Probleme nicht – auch Politik muss handeln
Die Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende betonte, dass die Mitbestimmung bei VW sehr wohl die Analyse teile, dass akuter Handlungsbedarf bestehe – nur ändere eben ein einseitiger Sparkurs nichts daran, wenn kein Zukunftskonzept erkennbar ist: „Natürlich wissen auch wir im Betriebsrat, wie die Lage derzeit ist. Sie ist ernst, in der gesamten Branche. Wir haben heftige Probleme. Dem müssen wir bei Volkswagen begegnen. Das haben wir als Betriebsrat oft genug betont. Wir liegen in der Analyse der Probleme nicht auseinander. Aber meilenweit bei der Antwort auf die Probleme.“
Zudem appellierte sie an die Politik: „Die muss mal endlich aufwachen. Es reicht nicht nur aus, zu sagen, man stehe an der Seite der VW-Belegschaft. Sondern wir brauchen Taten! Wir brauchen einen umfassenden Plan aus der Politik, wie die Elektromobilität endlich zum Fliegen kommt. Und wir brauchen darüber hinaus auch einen Masterplan für den Industriestandort Deutschland.“ Es gehe schlicht um „Zukunftsperspektiven“.
Cavallo forderte die Unternehmensspitze auch zum Schluss ihrer Rede nachdrücklich auf, sich gegenüber der Belegschaft zu erklären. Am Mittwoch (30. Oktober) treffen sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zur zweiten Verhandlungsrunde für den neuen VWHaustarif. Die Tarifpartner kommen in Wolfsburg in der Volkswagen Arena zusammen.
(Pressemitteilung des VW-Betriebsrates)