8. März - Internationaler Frauentag

Viel ist erreicht, viel ist noch zu tun!

07.03.2017 | Auch in diesem Jahr finden in den Betrieben in Braunschweig und Wolfenbüttel Aktionen zum Internationalen Frauentag statt. In Informationsveranstaltungen und Gesprächen diskutieren die IG Metallerinnen und Metaller über Entgeltgerechtigkeit, Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben und gleichberechtigte Teilhabe.

v.l.n.r.: Martina Witkowski (BR VW), Katja Voges (BR VW), Sophie Guillouet (BRV Braunschweiger Flammenfilter), Vesna Miseljic (BR VW FS AG) und Angelica Schieder (Gewerkschaftssekretärin IG Metall Braunschweig). Foto: Peter Frank, d&d.

"Vor über hundert Jahren ging es um das Wahlrecht für Frauen, um finanzielle und Unabhängigkeit vom Ehemann und Selbstbestimmung in der Gesellschaft. Später ging es um gerechte Einkommen, die zum Beispiel die Abschaffung von sogenannten Leichtlohngruppen beinhalteten. Frauen fanden immer stärker den Weg in bisher berufliche Männerdomänen, aktuell wurde auch die Quote in Aufsichtsräten beschlossen. Viel wurde erreicht. Heute sind wir in der Ära der Überlast. Frauen werden Zugänge nicht mehr formal versperrt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird auch Männern immer wichtiger. Aber dennoch stemmen nach wie vor die Frauen den Löwenanteil bei Sorge- und Pflegearbeiten. Wer Karriere machen will, muss also oft beides bieten: Voller Einsatz im Beruf und gleichzeitig für Familie da sein", erläutert Eva Stassek, 1. Bevollmächtigte der IG Metall Braunschweig.


Garnet Alps, 2. Bevollmächtigte der IG Metall dazu: "Wir wollen gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen für Arbeitszeitmodelle sorgen, die nicht in die Entgrenzung führen. Dazu gehören Aufstieg in Teilzeit, Rückkehrrechte von Teilzeit in Vollzeit, eine Unternehmenskultur, die Beschäftigte in Arbeitszeitreduzierung oder Auszeiten fördert und nicht bestraft und natürlich gleiches Geld für gleiche Arbeit! Mit unserer Arbeitszeitkampagne 'Mein Leben - meine Zeit: Arbeit neu denken' greifen wir genau das auf."

In einem Interview schildern Betriebsrätinnen aus der Metallindustrie und von Volkswagen ihre betrieblichen Erfahrungen:

Interview zum Internationalen Frauentag
mit Martina Witkowski, Katja Voges (beide Betriebsrätinnen Volkswagen Braunschweig), Vesna Miseljic (Betriebsrätin Volkswagen Financial Services AG) und Sophie Guillouet (Betriebsratsvorsitzende Braunschweiger Flammenfilter)

Die Bundesregierung wird von einer Kanzlerin angeführt und die Braunschweiger IG Metall-Geschäftsstelle wird von einer weiblichen Doppelspitze geleitet. Das ist gut. Sind die Themen Gleichstellung und Internationaler Frauentag für uns als Metallerinnen und Metaller trotzdem aktuell?

Katja VogesKatja Voges:
Über 100 Jahre sind seit dem ersten Internationalen Frauentag vergangen. Und trotzdem müssen wir als Frauen  immer noch für unsere Rechte kämpfen. Wirklich gleichgestellt sind wir noch nicht - selbst bei einem so großen Unternehmen wie Volkswagen. Und solange das so ist, ist der Frauentag wichtig, um wenigstens einmal im Jahr allen zu zeigen, wo wir sind, wer wir sind und was wir wollen.

Vesna Miseljic:
Auf jeden Fall gibt es viel zu tun. 2015 hat in unserer IT exakt eine Frau ihre Ausbildung begonnen. Unsere Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt. In der Informatik zeigt sich ein neues Bild, das noch nicht final ist, da wir uns noch im Bewerbungsverfahren befinden. Nach aktuellem Stand sind fast die Hälfte aller neu eingestellten Auszubildenden Frauen - nahezu ein Gleichgewicht. Trotz solcher Erfolge gilt: Umso weiter man in der Hierarchie nach oben schaut, desto deutlicher wird es, dass Frauen noch lange nicht wirklich gleichgestellt sind.

Martina Witkowski:
Bei einer Veranstaltung zur Neuausrichtung bei Volkswagen standen am Ende ausschließlich männliche Führungskräfte auf der Bühne und wurden beklatscht. Zwei Frauen, wurden für die Gestaltung der Veranstaltung mit einem Blumenstrauß belohnt. Für mich kam rüber, na toll, die fleißigen Bienchen. Solange die Führungsebenen nicht oder zu wenig mit Frauen besetzt sind, machen Unternehmen einen Fehler, denn gemischte Teams bringen einfach bessere Ergebnisse. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.

Sophie Guillouet:
Und auch wenn es insgesamt noch viel zu verbessern gibt, sind wir in Deutschland immerhin schon weiter als in vielen anderen Ländern der Welt. Gerade international sind noch viele Veränderungen nötig.

Welche Veränderungen seht ihr in Sachen Gleichstellung über die letzten Jahre und Jahrzehnte?

Katja Voges:
Vieles ist in Schüben passiert. Immer wieder sind über die Jahrzehnte Bewegungen entstanden, in denen Frauen ihre Forderungen formuliert und wenigstens in Teilen durchgesetzt haben. Ich nehme es so wahr, dass heutzutage viele Frauen glauben, dass wir schon viel erreicht haben und keine weiteren Kämpfe ausfechten möchten - gerade wenn sie die eigene Karriere im Blick haben. Dabei verlieren viele aus dem Blick, dass wir noch lange nicht am Ziel sind. Von einem Frauenanteil von 30 Prozent im Management sind wir noch weit entfernt.

Martina WitkowskiMartina Witkowski:
Zum Thema Quote: Quote heißt ganz schlicht, gleichberechtigte Teilhabe. Da sind andere Marken im Volkswagen-Konzern schon weiter. Porsche hatte bis vor einiger Zeit einen extrem geringen Frauenanteil sowohl in der Entwicklung als auch in den Fachbereichen. Dann wurden Ziele für Frauenanteile bonusrelevant für die Führungskräfte verankert. So hat man bei Porsche innerhalb von zwei Jahren Ziele erreicht, die wir bei Volkswagen in vielen Jahren nicht geschafft haben.

Sophie Guillouet:
Noch im Jahr 2010 war ich auf meinen ersten Betriebsratsschulungen fast allein unter Männern. Inzwischen sehe ich sehr viel mehr Frauen auf den Seminaren. Das ist gut. Aber manchmal gibt es schon noch Hürden - gerade auch für mich als Betriebsratsvorsitzende. Dazu eine kleine Anekdote: Ich habe im März 2015 eine Tochter bekommen und wollte für ein Jahr in Elternzeit gehen. Da stellten sich plötzlich viele Fragen, die sich mit männlichen BR-Vorsitzenden vorher nicht gestellt hatten: Wie werde ich vertreten? Muss eine neue BR-Vorsitzende gewählt werden? Rückt der Stellvertreter auf?

Vesna MiseljicVesna Miseljic:
Und da fangen die Fragen erst an. Was passiert nach Mutterschutz und Elternzeit? Wie kommt man zurück in den Beruf?  Um den Wiedereinstieg zu erleichtern, haben wir im Jahr 2008 unser Kinderhaus "Frech Daxe" eröffnet. Dort gibt es sehr flexible  Öffnungszeiten von 7:30 bis 18:30 Uhr, um die Kinderbetreuung mit dem Beruf vereinbaren zu können.

Wie beurteilt Ihr den Ist-Stand? Seht ihr Bereiche, in denen es auf dem Weg zur Gleichstellung sogar Rückschritte gibt? Und was brennt Euch im Betrieb besonders unter den Nägeln?

Katja Voges:
Als Mutter erlebe ich gerade live, wie stark die traditionellen Rollenbilder in der Gesellschaft verankert sind. Wenn ich meinem Kind etwas zum Anziehen kaufen möchte, gibt es die Varianten Rosa und Blau. Neutrale Varianten sind eher selten. Beim Spielzeug ist es genauso. Das setzt sich immer weiter fort bis zur Berufswahl. Die jungen Männer  neigen dann eher  zu einem technischen Beruf. Und die Frauen wählen - auf Volkswagen bezogen - lieber den Weg zur Kauffrau. Das erklärt auch den Trend: Wir haben von Jahr zu Jahr weniger Bewerberinnen für die technischen Berufe.

Martina Witkowski:
Im Moment haben wir eine Personalleiterin am Standort Braunschweig. Dazu gibt es noch eine Werksärztin. Somit haben wir zurzeit zwei Frauen im oberen Management. Da sind wir voll in der Zielerreichung. Geht eine, liegen wir sofort unter Ziel.

Es hapert an der Pipeline-Füllung. Wir haben seit Jahrzehnten ein Mentoring-Programm für Akademikerinnen. Dort ist seit ein paar Jahren nach Abschluss des Programms der nächste Schritt ins Management verankert. Seitdem wurden keine Frauen in Braunschweig mehr angemeldet. Es gibt ein Programm Fokus. Das richtet sich an die Frauen, die sich noch nicht sicher sind, ob sie führen wollen oder nicht, dient also zur Orientierung. Hier werden Kolleginnen angemeldet. Es hat aber nicht die Konsequenz zum nächsten Entwicklungsschritt.

Aus meiner Sicht kommen wir nur weiter, wenn auch wir die Ziele bonusrelevant verankern. Mit unserer jetzigen Personalleiterin haben wir eine konsequente Treiberin, doch der Prozess muss personenunabhängig werden.

Sophie GuillouetSophie Guillouet:
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Flexibilität für die Beschäftigten. Wenn man bisher über flexible Arbeitszeiten redet, ist damit meistens einseitige Flexibilität zugunsten des Unternehmens gemeint. Wenn aber die Beschäftigten Stunden aufgebaut haben und Freizeitausgleich brauchen, kommen sie oft nicht damit durch. Als Betriebsrat werden wir deshalb die Arbeitszeitkampagne der IG Metall nutzen. Wir werden schauen, inwiefern wir unsere Arbeitszeitregelungen ändern können, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser gewährleisten zu können.

Ein Ansatz für Flexibilität kann auch die zunehmende Digitalisierung sein. Wie wirken sich die Veränderungsprozesse in dem Bereich auf das Thema Gleichstellung aus?

Katja Voges:
Beim Stichwort Digitalisierung denkt man sofort an mobiles Arbeiten. Dazu haben wir gerade eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen. Wir müssen aber weiterhin aufpassen, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben nicht vollständig verschwinden.

Martina Witkowski:
Sicher ist, dass wir als Betriebsräte und IG Metall weiterhin den Prozess mitgestalten müssen. Nicht nur im Büro, sondern auch in der Produktion. Unsere Betriebsvereinbarung betrifft leider nur einen Teil der Belegschaft. Die Kollegin in der Produktion kann die Anlage schließlich nicht unter dem Arm mit nach Hause nehmen.

Sophie Guillouet:
Deshalb stehen wir beim Thema Digitalisierung noch am Anfang. Wir sind ein produzierendes Unternehmen. Dennoch  dürfen wir das Thema nicht verschlafen, wenn wir als Unternehmen konkurrenzfähig bleiben wollen.

Vesna Miseljic:
Bei uns als Finanzdienstleister sieht es anders aus. Wir haben schon jetzt mehr als 300 Arbeitszeitmodelle. Viele der schon vorhandenen Modelle und Instrumente sind aber noch nicht transparent genug für die Beschäftigten. Daran arbeiten wir.

Katja, Du kommst gerade aus der Elternzeit. Wo siehst du noch Handlungsbedarf für Pflegende - nicht nur in Bezug auf Kinder?

Katja Voges:
Sabbatical, Elternzeit oder einfach mal so raus aus dem Beruf. Man macht sich viele Gedanken: Geht das so einfach? Kann ich mir das finanziell leisten? Elternzeit und Elterngeld sind recht gut gesetzlich geregelt. Das gilt aber nur für die Betreuung von Kindern. Was passiert also, wenn ich jemanden zuhause pflegen muss? Kann ich meine Eltern genauso einfach betreuen wie mein Kind? Nein, kann ich in der Regel nicht. Wie wird diese Zeit anerkannt? Oder auch finanziell unterstützt? Meistens gar nicht. Auch wenn erste Ansätze da sind, ist der Weg noch weit. Wenn jemand eine Auszeit nehmen möchte, um zum Beispiel sein Stresslevel zu reduzieren, ist das kaum anerkannt. Viele fragen dann nur: "Hat der zu viel Geld übrig?" Schnell wird diese Auszeit zum Karrierekiller. Hier brauchen wir einen Bewusstseinswandel.

Zum Internationalen Frauentag am 8. März: Welche Aktionen laufen bei Euch im Betrieb?

Vesna Miseljic:
Wir möchten die Frauen dieses Mal auf eine Zeitreise zum Thema "Was haben Frauen erfunden?" mitnehmen. Um zu zeigen, wie innovativ Frauen schon immer waren und wie sie den technischen Fortschritt geprägt haben. Außerdem planen wie eine Live-Schaltung zu einer Kollegin in unserer neu gestarteten Digital Unit in Berlin, die die innovativen Arbeitsmethoden vor Ort erläutert. Garnet Alps, die zweite Geschäftsführerin der IG Metall Braunschweig, beteiligt sich an unserer Aktion und wird uns die die frauenspezifischen Chancen aber auch Hürden in der Digitalisierung genauer darstellen.

Martina Witkowski:
Eine Aktion hat bei uns am Frauentag schon Tradition: eine zweistündige Veranstaltung, zu der alle Frauen in ihrer Arbeitszeit kommen können. Dieses Jahr gibt es eine Talkrunde mit unserer neuen Frauenbeauftragten, mit dem Werkleiter, der Personalleiterin. Wir wollen Antworten vom Unternehmen zur Zielerreichung bei der Gleichstellung und zum Kulturwandel. Natürlich gibt es für die Kolleginnen Raum eigene Fragen zu stellen. Unterstützt werden wir in unserer Veranstaltung auch wieder von der Geschäftsführerin der IG Metall Braunschweig, Eva Stassek, die sich an der Diskussion beteiligen wird, um unsere frauenpolitischen, gewerkschaftlichen Themen klar zu vertreten.

Sophie Guillouet:
Natürlich verteilt wir von der IG Metall bei uns Rosen an die Frauen. Dabei kommen wir miteinander ins Gespräch, stellen Fragen: Wie fühlst Du dich hier im Betrieb als Frau? Verdienst Du weniger als dein Kollege? Verlangt dein Vorgesetzter mehr von Dir als von Männern?

Was ist Eure wichtigste Botschaft zum Internationalen Frauentag?

Vesna Miseljic:
Für mich ist es ganz wichtig, dass die Frauen Mut haben, Veränderung aktiv zu gestalten. Frauen müssen die Zukunft entscheidend mitgestalten, sonst gestalten sie die Männer allein. Wir wollen einen ganz klaren Appell absetzen: Habt den Mut, den Schritt in die neue Arbeitswelt zu gehen.

Martina Witkowski:
Wir wollen keine Bevorzugung, wir wollen nur das Gleiche. Mehr wollen wir nicht, aber das wollen wir.

Katja Voges:
Frei nach dem Lied der Frauenbewegung: fordern wir Frauen bis heute nicht nur die gerechte Entlohnung, das Brot, sondern auch menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen, als Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Rosen. "Her mit dem ganzen Leben Brot und Rosen!"

Von: pw/dud

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